Landsmannschaft der Donauschwaben in Baden-Württemberg

Patenschaften

Die Patenschaft des Landes Baden-Württemberg

Notvoll waren die Zeiten, als die Überlebenden der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges ihre Heimat verlassen mussten und den Gang in eine ungewisse Zukunft antraten. Schlimm waren Armut und Hunger, aber noch schlimmer und bedrückender waren Heimweh und innere Vereinsamung. In diesen notvollen Nachkriegsjahren vollzog sich ein Vorgang, der nicht nur in der Geschichte des deutschen Volkes einen Ehrenplatz einnimmt, sondern in der gesamten Welt beachtet und bewundert wurde: Die Einheimischen, die selbst aus vielen Wunden bluteten und unter physischen und psychischen Lasten zu leiden hatten, streckten den Heimatvertriebenen die Bruderhand entgegen und ließen es ihnen zur Gewissheit werden, dass die Urheimat, das deutsche Mutterland noch lebte. So wurde die gemeinsame Not zu einem gemeinsamen Neubeginn. Aus Ruinen wuchs neues Leben. Wer wollte, wer könnte dieses Zusammengehen und Zusammenwirken, dieses Miteinander und Füreinander in schweren Zeiten vergessen? Die Donauschwaben sicherlich nicht.

Das Verständnis um die Donauschwaben ist auch stammesbezogen. Viele der Aussiedler in die Donauländer vor 300 Jahren stammten aus dem Südwesten Deutschlands. Art, Sitten und Gebräuche der Ausgewanderten blieben mit den Daheimgebliebenen in großen Teilen unverändert. Das Land bekundete seine Förderung und Verbundenheit zu den fleißigen, sparsamen und integrationswilligen Donauschwaben mit der Übernahme der Patenschaft beim großen Heimattreffen im Jahre 1954 in Esslingen a.N.

Die vom Land Baden-Württemberg vor 50 Jahren übernommene Patenschaft über die Volksgruppe der Donauschwaben sowie die von der Stadt Sindelfingen vor 40 Jahren übernommene Patenschaft über die Volksgruppe der Donauschwaben aus Jugoslawien sind Meilensteine im Gang dieser Entwicklung.

Die Patenschaftsübernahme war „ein Akt der Menschlichkeit, der Nächstenliebe und der Hilfsbereitschaft, ein Akt der stammesmäßigen und nationalen Verbundenheit und Solidarität“, stellte der inzwischen verstorbene Bundesvorsitzende Christian L. Brücker bei der 30-jährigen Patenschaftsfeier am 22. September 1984 fest.


Dem damaligen Ministerpräsidenten Dr. Gebhard Müller, der im Jahre 1954 die Landespatenschaft über die Volksgruppe der Donauschwaben übernahm, und den ihm folgenden Ministerpräsidenten Dr. h.c. Kurt Georg Kiesinger, Dr. Hans Filbinger, Lothar Späth und Erwin Teufel, welche sie verwirklichten und ausbauten, ihren Regierungen und dem gesamten Parlament, gilt der Dank aller Donauschwaben. Von donauschwäbischer Seite waren 1954 maßgeblich am Zustandekommen dieser Patenschaft beteiligt der damalige Bundesvorsitzende der Landsmannschaft der Donauschwaben, Franz Hamm, deren damaliger Landesvorsitzender Dr. Richard Derner und Dr. Anton Valentin, als Bundesvorsitzender der Landsmannschaft der Banater Schwaben.

Das Land hat den Heimatvertriebenen zunächst bei der Arbeitsbeschaffung, beim Wohnungsbau und mit sozialer Fürsorge geholfen. Im Laufe der Zeit haben sich der Patenschaft neue Aufgaben und Zielsetzungen eröffnet. Beispielhaft genannt sei hier die Arbeit zum Erhalt des geistig-kulturellen Erbes der Donauschwaben mittels Förderung von Publikationen, Tagungen und Lehrgängen, Museen, Archiven sowie zur Errichtung von Denkmälern (Ahnenauswandererdenkmal in Ulm, Pannonia-Brunnen und Peter-Max-Wagner-Platz in Kirchheim/ Teck, Adam-Müller-Guttenbrunn-Denkmä1er in Reutlingen, Spaichingen und Mosbach).


Dies um vieles übertreffend, sind die vom Land Baden-Württemberg getragenen bzw. mit großem finanziellem Engagement geförderten kulturellen Einrichtungen:

  • Das Haus der Heimat des Landes Baden-Württemberg in Stuttgart,
  • Das Institut für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde in Tübingen,
  • Das Johannes-Künzig-Institut für ostdeutsche Volkskunde in Freiburg,
  • Das Donauschwäbische Zentralmuseum in Ulm,
  • Die Donauschwäbische Kulturstiftung des Landes Baden-Württemberg in Stuttgart
  • Das Haus der Donauschwaben in Sindelfingen.

Zum patenschaftsfördernden Engagement gehört ebenso der Donauschwäbische Kulturpreis des Landes Baden-Württemberg, der alle zwei Jahre vornehmlich an donauschwäbische Kulturschaffende verliehen wird, deren Werk das Kulturgut der Donauschwaben repräsentiert.
Bei der Preisverleihung am 8. Dezember 2003 im Haus der Donauschwaben überreichte der damalige Staatssekretär Heribert Rech MdL, heute Innenminister des Landes Baden-Württemberg, den Hauptpreis an Gottfried Habenicht, den Förderpreis an die Schwestern Julia und Claudia Weissbarth und eine Ehrengabe an Jakob Gärtner. Der Bundesehrenvorsitzende der Landsmannschaft der Donauschwaben, Jakob Dinges, ist seit vielen Jahren bewährter und anerkannter Vorsitzender der Jury zur Verleihung des Kulturpreises.

Bestandteil der übernommenen Obhutspflicht über die Patenkinder, ist die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den donauschwäbischen Landsmannschaften und Vereinigungen, wie auch mit den Kirchen und Heimatortsgemeinschaften.

Dem Vorbild des Landes Baden-Württemberg sind viele Städte und Gemeinden im Land gefolgt. Der Eingliederungswille, die Mitarbeit der Donauschwaben in den kommunalen und kirchlichen Ebenen, sowie in den Vereinen und Organisationen, trug auch Früchte in der Patenschafts-übernahme zahlreicher Kommunen über Heimatortsgemeinschaften der drei Heimatländer. Den zunehmenden Verbindungen der Heimatvertriebenen zu ihren ehemaligen Heimatgemeinden erwachsen auch mehr und mehr partnerschaftliche Aufgaben über die Grenzen hinweg, die zu einem neuen und friedlichen Europa führen.

Die Patenschaftsarbeit des Landes hat sich bewährt. Auf allen Gebieten ist segensreiche Arbeit geleistet worden. Die Donauschwaben bringen dem Land Baden-Württemberg und der Stadt Sindelfingen tiefste Dankbarkeit entgegen für verständnisvolle Hilfe und wohlwollende Unterstützung. Die Donauschwaben fühlen sich dem Land Baden-Württemberg verpflichtet und stehen getreu zu ihrem Patenland und zur Patenschaft. Dies auch im Bekenntnis zum Grundgesetz, zur Landesverfassung, zur Charta der deutschen Heimatvertriebenen, zu Einigkeit und Recht und Freiheit und zu einem friedliebenden Europa.

Die Patenschaft der Stadt Sindelfingen

„Die Stadt Sindelfingen hat durch Beschluss des Gemeinderats vom 21. Januar 1964 die Patenschaft für die Deutschen aus Jugoslawien übernommen. Aus diesem Anlass findet am Sonntag, 24.Mai 1964, in der Stadthalle in Sindelfingen eine Patenschaftsfeier statt. Gemeinderat und Bürgermeisteramt beehren sich, (…) zu der Patenschaftsfeier einzuladen.“

Als diese Einladung im April 1964 veröffentlicht und verschickt wurde, wurde damit ein Vorhaben in die Tat umgesetzt, das ein gutes Jahr zuvor unter ganz anderen Vorzeichen seinen Anfang genommen hatte.

Im Februar 1963 trat nämlich der Bundesvorsitzende der Landsmannschaft der Deutschen aus Jugoslawien, Dr. Adam Krämer, mit der Absicht an den Sindelfinger Oberbürgermeister Arthur Gruber heran, im Sindelfinger Wald eine Siedlung für 4 – 500 „Donauschwaben aus Baden-Württemberg und der Umgebung“ zu bauen. Im Protokoll der Besprechung heißt es weiter: „Er denkt an 20 ha Wald. Er möchte gerne die Siedlung so bauen wie sie in der Heimat der Donauschwaben war, außerdem möchte er je eine evan-gelische und eine katholische Kirche hineinbauen…“ Den Kontakt zwischen Dr. Adam Krämer und Arthur Gruber hatte offensichtlich der Sindelfinger Stadtrat Anton Gärtner geknüpft, ein donauschwäbischer Landsmann, der der vierköpfigen Fraktion der „Wählergemeinschaft der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge“ angehörte. Oberbürgermeister Gruber war einer solchen Idee nicht grundsätzlich abgeneigt, äußerte sich aber zurückhaltend, zumal die Frage, ob Waldflächen als Bauland zur Verfügung gestellt werden konnten, einer Entscheidung des Landes bedurfte.

In der Folgezeit intensivierte sich der Kontakt zwischen Dr. Krämer und Gruber, und die Gedanken für eine Zusammenarbeit gingen schnell über die ursprüngliche Idee einer donauschwäbischen Siedlung hinaus. In einem Brief vom 23.2.1963 wurde Krämer schließlich ganz direkt: „Sie können sich denken, dass es für uns viel angenehmer ist, unsere laufenden Veranstaltungen an einem Ort abzuhalten, statt im ganzen Land umherzuziehen; wir suchen eben auch hier eine Bleibe, eine Heimat. Dies umso mehr, als sich gerade in und um Sindelfingen eine ganze Anzahl von Siedlungen befinden, in denen Menschen aus unserem ehemaligen Heimatgebiet leben. (…) Ich frage daher, sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, höflich an, ob Sie es nicht für möglich und durchführbar hielten, die Patenschaft für unsere Landsmannschaft (der Deutschen aus Jugoslawien) zu übernehmen.“

Während die Frage einer möglichen Waldsiedlung für die Donauschwaben in den folgenden Gesprächen immer mehr in der Hintergrund trat und schließlich wegen der fehlenden Erlaubnis, Wald in Bauland umzuwandeln, ganz fallen gelassen wurde, verfolgten Gruber und Krämer die Patenschaftsidee mit großer Energie weiter. In zahlreichen Briefen und Denkschriften schilderte Krämer seine Vorstellung eines geistigen und kulturellen Zentrums der Donauschwaben in Sindelfingen und die Vorzüge, die der verstärkte Zuzug qualifizierter Arbeitskräfte nach Sindelfingen für die Stadt mit sich bringen könnte. Bei Arthur Gruber stießen diese Gedanken auf große Gegenliebe, so dass er von Anfang an zum entschiedenen Verfechter der Patenschaftsidee wurde.

Bei den politisch Verantwortlichen in Sindelfingen gab es allerdings erst noch einige Hürden zu überwinden. Bei ersten Gesprächen in Ältestenrat und Verwaltungsausschuss des Sindelfinger Gemeinderates wurden unter anderem Bedenken dahingehend geäußert, ob denn eine Stadt von 28.000 Einwohnern die Patenschaft für 270.000 donauschwäbische Landsleute aus Jugoslawien über-nehmen könne. Unsicherheit herrschte vor allem über die finanziellen Verpflichtungen, die mit einer solchen Patenschaft verbunden sein könnten. Außerdem wurde darüber diskutiert, ob denn eine separate Patenschaft für die Jugoslawiendeutschen angebracht sei, nachdem das Land Baden-Württemberg bereits 1954 die Patenschaft über alle Donauschwaben übernommen hatte. Interessant aus heutiger Sicht ist auch die damals aufgeworfene Frage, wieweit denn eine Patenschaft überhaupt der Integration der Heimatvertriebenen diene und bis wann mit einem „vollständigen Zusammenwachsen“ (was immer man sich darunter auch vorstellte) zwischen Einheimischen und Neubürgern zu rechnen sei.

Vor allem, um die Bedenken hinsichtlich einer finanziellen und organisatorischen Überforderung der Stadt zu zerstreuen, machte man sich über den Sommer des Jahres 1963 daran, das strukturelle Gerüst einer zukünftigen Patenschaft zu skizieren und die Themenfelder für eine Zusammenarbeit zu beschreiben. So wurden der paritätisch aus donauschwäbischen Landsleuten und Vertretern des Sindelfinger Gemeinderats besetzte Patenschaftsrat als Organ der künftigen Zusammenarbeit aus der Taufe gehoben und die Idee eines städtischen Patenschaftsbüros entwickelt. Aufgaben dieses Büros sollten unter anderem die Einrichtung und Führung einer Heimatkartei, die Organisation von Orts- und Bundestreffen, die Sammlung donauschwäbischer Kulturgüter sowie die Publikation historischer und aktueller In-formationen sein. Für die Erfüllung dieser Aufgaben wurde die Einstellung jährlicher Mittel in den städtischen Haushalt vorge-schlagen.

Nachdem sich Inhalt und Organisation der Patenschaft auf diese Weise im Lauf des Jahres 1963 konkretisiert hatten, fand am 21.November nochmals eine gemeinsame Sitzung von Vertretern der Donauschwaben, der Stadt und des Landes statt. Nachdem hierbei noch einige Unklarheiten über die Abgrenzung der Paten-schaften von Stadt und Land beseitigt werden konnten, signalisierten die Vertreter der Sindelfinger Gemeinderatsfraktionen grundsätzliche Zustimmung zur Übernahme der Patenschaft. Gefördert wurde diese Zustimmung möglicherweise noch durch die donau-schwäbische Presse, die im Vorfeld bereits die bevorstehende Pa-tenschaft überschwänglich gefeiert hatte.

In der öffentlichen Gemeinderatssitzung vom 21. Januar 1964 schließlich wurde die Übernahme der Patenschaft nahezu einstimmig beschlossen und dieser Beschluss noch am selben Abend von Oberbürgermeister Gruber persönlich an Dr. Krämer übermittelt. Für die feierliche Verkündigung der Patenschaft wurde ein Festakt auf den 24.Mai in der Stadthalle festgelegt. In seiner Ansprache betonte Dr. Adam Krämer noch einmal die Gemeinsamkeiten von Sindelfinger Schwaben und Donauschwaben: „Herr Landrat Heß stellte fest, dass die Sindelfinger fleißig, sparsam, pünktlich und genau sind. Diese Eigenschaften haben unserem abgesplitterten Volksstamme alle uns einst in der Heimat umgebenden Völkerschaften neidlos zuerkannt.“ Nach weiteren Reden wurde schließlich von Oberbürgermeister Gruber die offizielle Patenschaftsurkunde mit folgendem Wortlaut überreicht: „Die Stadt Sindelfingen übernimmt durch Beschluss des Gemeinderats vom 21. Januar 1964 die Patenschaft über die Volksgruppe der Deutschen aus Jugoslawien (…) Sie bekundet damit ihre Ver-bundenheit mit der deutschen Volksgruppe Jugoslawiens und den Willen, ihr in der Patenstadt Sindelfingen wieder einen Mittelpunkt zu geben und sie in ihren Aufgaben zu unterstützen.“

Horst Zecha
Leiter des Stadtarchivs   

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